„Plakate müssen provozieren...“

Zwar gibt es sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten schon seit längerem umfangreiche Museumssammlungen zur Kunst und Geschichte des Plakates. In weiteren Kreisen und insbesondere am Kunstmarkt wurden Plakate indes – vergleichbar etwa der Fotografie – erst in den letzten Jahren als sammelwürdige Kunstform populär. Im folgenden Gespräch äussert sich der international anerkannte Luzerner Künstler, Grafiker und Plakatgestalter Paul Brühwiler für einmal nicht aus der Sicht des Sammlers oder Händlers, sondern aus der Sicht des Machers zu aktuellen Fragen der Plakatkunst.

Herr Brühwiler, Sie blicken auf über 30 Jahre vielfältiger und erfolgreicher eigener Plakatgestaltung zurück. Wie haben sich Rolle und Stellung des Werbemittels Plakat in dieser Zeit verändert und wo steht es heute im Reiche der Kunst?

Paul Brühwiler: An der traditionellen Rolle des Plakates als spontanes, populäres, effizientes und nicht zuletzt kostengünstiges Werbemittel hat sich zumindest in Europa eigentlich nicht allzu viel geändert. Vor allem für kleinere Unternehmen und Institutionen, aber auch für viele Kommunikationsaufgaben im politischen, kulturellen und sozialen Bereich dürfte es bei uns auch weiterhin das Werbemittel der Wahl sein, zumal dann, wenn das entsprechende Werbebudget ansonsten keine grossen Sprünge erlaubt. In Amerika dagegen hat das klassische Werbeplakat viel von seiner einstigen Bedeutung eingebüsst – dafür findet man dort bezeichnenderweise besonders viele und eifrige Sammler von Plakaten.
Was den Charakter des Werbemittels Plakat anbelangt, so gehört es nach meiner Auffassung nach wie vor eindeutig ins Reich der angewandten Kunst – schliesslich soll ein gutes Plakat ja normalerweise eine klar umrissene Kommunikationsaufgabe erfüllen. Das bedeutet natürlich nicht, dass ein gutes Plakat nicht auch hohen künstlerischen Wert besitzen kann – nur wird es eben normalerweise nicht von vorneherein als Kunstwerk sondern nach ganz anderen Kriterien konzipiert und geschaffen.
Leider gibt es hier jedoch eine ganze Reihe sprachlicher Ungenauigkeiten und Missverständnisse. So ist beispielsweise der Begriff des Künstlerplakates reichlich irreführend, bezeichnet er doch üblicherweise ein Plakat, das zwar von einem Künstler geschaffen wurde, deshalb aber noch lange kein Kunstwerk zu sein braucht. Und schon gar nicht als Kunstwerke anzusprechen sind schliesslich die meisten jener Ausstellungs- und Museumsplakate, auf denen schlicht ein anderes Kunstwerk reproduziert ist.
Ob ein bestimmtes Plakat über seine ursprüngliche visuell-kommunikative Zweckbestimmung hinaus wirklich den Rang eines eigenständigen Kunstwerkes erreicht, offenbart sich im Übrigen meist nicht zu Leb- oder Nutzungszeiten des betreffenden Plakates, sondern erst nach längerer Zeit im distanzierten, kritischen Rückblick. Tatsächlich scheint mir gerade in dieser Ungewissheit sogar ein wesentlicher Reiz des Plakatsammelns zu liegen.

Wie erklären Sie es sich, dass die kleine Schweiz eine so grosse Zahl bedeutender Plakatkünstler und Plakate hervorgebracht hat?

Paul Brühwiler: Einen konkreten Einzelgrund kann ich dafür nicht nennen – höchstens einige spekulative Vermutungen. So scheint mir das uniforme äussere Erscheinungsbild des Plakates und seine sauber ausgerichtete Präsentation an Plakatwänden der schweizerischen Ordnungsliebe besonders gut zu entsprechen. Wesentlich mitverantwortlich für die im internationalen Vergleich tatsächlich weit überdurchschnittliche Bedeutung des schweizerischen Plakatschaffens dürfte aber auch der glückliche und bis heute nachwirkende Zufall gewesen sein, dass hierzulande eine ganze Reihe erstklassiger Druckereien und Lithographen arbeiten – man denke nur an die berühmte Lithographische Anstalt Wolfensberger in Zürich. Die Symbiose von begabten Plakatkünstlern, die ansonsten vielleicht ins Ausland abgewandert wären, und einem entsprechend qualifizierten Druckerhandwerk hat sich für das Schweizer Plakatwesen jedenfalls als überaus fruchtbar erwiesen. Und schliesslich dürfte auch noch der hierzulande überdurchschnittlich hohe Anteil kostenbewusster kleiner und mittelständischer Unternehmen, für die das Plakat seit jeher das Werbemittel der Wahl war und noch immer ist, einiges zur Förderung des hiesigen Plakatkultur beigetragen haben.
Nicht die gleichen, aber immerhin verwandte Gründe sind übrigens auch verantwortlich für den bemerkenswert hohen Stand des Plakatwesens in der einstigen DDR.

Welches war Ihr erstes, welches Ihr wichtigstes und welches Ihr bestes Plakat?

Paul Brühwiler: Mein erstes Plakat entwarf ich noch während meiner graphischen Ausbildung in den späten 50er Jahren für das Restaurant Raben in Luzern – es stand am Anfang einer bis heute anhaltenden besonderen Vorliebe für diese spezielle Kunst- und Kommunikationsform.
Zu meinen wichtigsten Plakatarbeiten zählen für mich dagegen gewisse persönliche Arbeiten aus der Zeit um 1985, die mich auf den Geschmack der künstlerischen Freiheit brachten. In denselben Rahmen gehört auch jenes Plakat, das ich kürzlich zum Thema „Für eine Zukunft mit Zukunft“ anfertigen durfte und das mir ebenso bezeichnender- wie befriedigenerweise unerwartet viel Echo und Reaktionen bescherte.
Ein „bestes“ Plakat könnte ich dagegen kaum nennen – obschon es für mich durchaus Arbeiten gibt, die Bestand haben und andere, die mir heute weniger bedeuten....

Haben oder hatten Sie bestimmte künstlerische Vorbilder?

Paul Brühwiler: Ja gewiss, die deutschen Expressionisten – allen voran Ernst Ludwig Kirchner und Edvard Munch – haben mich beispielsweise schon früh stark beeinflusst. Als Plakatgestalter im engeren Sinn gehörten dagegen Künstler wie Herbert Leupin und Cassandre zu meinen besonderen Vorbildern.

Welche Kriterien muss Ihrer Ansicht nach ein gutes Plakat erfüllen?

Paul Brühwiler: Ein gutes Plakat sollte stets auf zwei Ebenen wirken. Zum einen auf jener der spontanen, augenblicklichen und fast schon unterbewussten Wahrnehmung. Populärer ausgedruckt: Es muss auffallen, packen und provozieren, seine Botschaft unmissverständlich und ohne Umwege übermitteln und nicht zuletzt sich von anderen Plakaten abheben.
Die zweite Wirkungsebene ist dann jene der detaillierteren Information, des Kleingedruckten und all dessen, was den Betrachter eben zu einem zweiten Blick veranlasst.
Ein gutes Plakat sollte zwar beispielsweise schon beim flüchtigen Blick aus dem Auto oder Tram im wesentlichen erfasst werden, dabei aber den Betrachter zugleich dazu verlocken, sich das Plakat bei nächster Gelegenheit genauer anzusehen.
Für mich persönlich habe ich übrigens einen ganz einfachen Test gefunden: Wirklich gut ist ein Plakat dann, wenn es so spannend und in sich stimmig ist, dass ich es auch bei mir zu Hause aufhängen könnte.

Wie stehen Sie zu dem Gedanken, dass Ihre Plakate inzwischen von Sammlern und Museen auf der ganzen Welt gesucht und teuer bezahlt werden?

Paul Brühwiler: „Auf der ganzen Welt“ ist derzeit vielleicht doch etwas übertrieben, aber vor allem in Amerika habe tatsächlich schon des öfteren Plakate von mir in Galerien zum Verkauf angeboten gesehen, und zwar zu Preisen in der Grössenordnung von 1000$ und mehr. So verlangte eine New Yorker Galerie jüngst für mein Chandler Filmpodiumplakat 2000$. Begonnen hat das Sammeln meiner Plakate allerdings schon vor rund zehn Jahren, als mir die renommierte New Yorker Brown-Gallery, die immerhin auch mit so bedeutenden Institutionen wie dem Museum of Modern Art zusammenarbeitet, gleich drei dafür zusammen rund 1000Sfr. zahlte, etwa gleich viel, wie ich damals für den ganzen Auftrag als Honorar erhalten hatte.
Mitverantwortlich für die vergleichsweise hohen und soliden Preise ist dabei sicher die Tatsache, dass ich mich bisher immer gegen eine technisch und rechtlich ja durchaus mögliche Neuauflage einzelner Plakate gewehrt habe. Dies wahrt zwar den Originalcharakter meiner heute noch erhältlichen Plakate, zugleich macht es sie aber auch selten und dementsprechend teurer.
Natürlich freut mich das Gesammeltwerden als Form der Anerkennung meiner Arbeit – vor allem dann natürlich, wenn sich ein Museum oder eine Ausstellung für meine Plakate interessiert. Aber auch das entsprechende Engagement privater Sammler, mit dem ich früher ja nie gerechnet hatte, vermittelt mir willkommene Streichel- und Schmeicheleinheiten. Der Umstand, dass manche meiner Plakate über ihre unmittelbare kurzfristige Zweckbestimmung hinaus Bestand haben, stimuliert mich jedenfalls in durchaus ähnlicher Weise wie meine Lehrtätigkeit an der Luzerner Kunstgewerbeschule.

Sie können sich heute eine etwas feiere Arbeitsweise und –auswahl leisten. Wie sähe heute Ihr Wunschauftrag für eine Plakatgestaltung aus?

Paul Brühwiler: Tatsächlich eröffnet mir meine feste Lehrtätigkeit in Luzern – die mich übrigens ausserordentlich fordert und zugleich befriedigt – auch auf materieller Ebene neue und andere Entfaltungsmöglichkeiten als dies die reine Auftragsarbeit für Werbung und Plakatgestaltung vermag. So hab ich mich in den letzten Jahren unter anderem intensiv mit Malen und Zeichnen beschäftigt, wobei es für jemanden, der wie ich in den Köpfen vieler Leute unverrückbar das Etikett eines Plakatgestalters trägt, gar nicht so einfach ist, sich im Bereich der reinen Kunst Anerkennung zu verschaffen.
Ein attraktiver Plakatauftrag, mit dem ich mich identifizieren kann, interessiert mich jedenfalls nach wie vor. Besonders reizen würde mich dabei etwa die längerfristige Mitgestaltung der Identity einer Institution oder allenfalls auch eines Produktes. Soziale und kulturelle Anliegen und Inhalte kämen dabei ebenso in Frage wie politische Themen, wobei ich mir gerade im politischen Bereich wesentlich lustigere und lustvollere Plakate vorstellen könnte als das, was derzeit auf diesem Gebiet von allen Parteien an entsprechenden Langweiligkeiten bis Scheusslichkeiten geboten wird. Ausschlaggebend wäre für mich dabei, dass ich die Freiheit hätte, meinen eigenen gestalterischen Weg zu gehen. Dies böte mir zugleich die Möglichkeit, endlich aus der heutigen Uniformierung der Werbesprache auszubrechen und – möglicherweise sogar im Sinne eines Autorenplakates – neue Wege zu gehen.

(Das Gespräch mit Paul Brühwiler führte Christian von Farber-Castell)